Das Reich der Deutschen by Klawitter Nils; Pieper Dietmar

Das Reich der Deutschen by Klawitter Nils; Pieper Dietmar

Author:Klawitter, Nils; Pieper, Dietmar
Language: deu
Format: epub
Publisher: d-DVA Sachb./Belle.
Published: 2016-09-30T09:50:32+00:00


MUTTERSPRACHE, VATERLAND

Lange redeten die Deutschen alles, nur kein Hochdeutsch. Der Weg zu einer einheitlichen Sprache war fast so schwierig wie zu einem gemeinsamen Staat.

Von ANKE DÜRR

Rund eineinhalb Jahrtausende lang haben die Deutschen daran gearbeitet, sprachlich eine Einheit zu werden. Nie haben sie dafür eine staatliche Verordnung benötigt. Bis 1996 – bis zur Rechtschreibreform. Die Neuregelung trieb absurde Blüten: Plötzlich sind wieder mehrere Schreibweisen für ein Wort erlaubt, »Orthographie« etwa kann man jetzt auch »Orthografie« schreiben. In den Jahrhunderten davor hatten die Sprachexperten stets darum gerungen, das Deutsche zu vereinheitlichen, die Vielfalt – manche sagen: das Chaos – einzudämmen.

Das Ringen war zäh. So galten im wilhelminischen Kaiserreich noch 30 Jahre lang regional unterschiedliche Rechtschreibungen, nachdem die 1876 einberufene Erste Orthographische Konferenz schnell gescheitert war. Erst beim zweiten Versuch 1901 kam man zu einer Einigung – für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Nur das ß war mit den Schweizern nicht zu machen.

Konrad Duden, der 1880 erstmals seine eigene Vorstellung von der rechten Schreibweise des Deutschen in einem Wörterbuch veröffentlicht hatte, das die Grundlage bildete für die Konferenz, war so schlau, die neuen Richtlinien zu übernehmen. So sicherte er seinem privaten Verlag andauernden wirtschaftlichen Erfolg und quasi amtlichen Einfluss.

Die Rechtschreibung allerdings war lange das geringste Problem. Erst mal musste Grundlegendes geklärt werden: Was ist eigentlich deutsch? Welcher der unzähligen germanischen Dialekte, die im Mittelalter auf dem deutschen Reichsgebiet gesprochen wurden, war der richtige, vorbildliche? In Ländern wie England oder Frankreich war es einfach: Da, wo der König saß, war die Norm. Im deutschsprachigen Raum, mit seinen wechselnden Kaisersitzen, war das komplizierter. Der Germanist Karl-Heinz Göttert spekuliert gar: Wären die Staufer an der Macht geblieben, so »wäre vielleicht der schwäbische Dialekt zum Deutschen schlechthin geworden«.

Es kam anders. Der schwierige Weg zum Hochdeutschen spiegelt den schwierigen Weg zur Nation. Es waren vor allem die Bürger, erst Schreiber und Drucker, später klassische Bildungsbürger, die die Sache einer gemeinsamen Sprache vorantrieben – in jahrhundertelanger Kleinarbeit, eine eindrucksvolle Integrations- und Kommunikationsleistung.

So ist das Gegenwartsdeutsch eine abenteuerliche Mischung: Unsere Schriftsprache ist hochdeutsch (was in diesem Zusammenhang bedeutet: Sie stammt aus dem Raum südlich der Mittelgebirge), die Aussprache norddeutsch geprägt.

Am Anfang der deutschen Sprache, so definiert es die Wissenschaft, stand eine Teilung: Im 7. Jahrhundert begannen die Stämme im südlichen Frankenreich, gewisse Laute zu verschieben. Aus Appel wurde Apfel, aus Attila Etzel; das war die sogenannte zweite Lautverschiebung. Warum sie stattfand, ist bis heute nicht recht erklärbar. Sie trennte jedoch die Germanen südlich der Linie Köln–Kassel–Berlin sprachlich sowohl von den Nachbarn im Westen (den späteren Franzosen) als auch von den Angelsachsen in England wie von den Landsleuten im Norden des Frankenreichs.

Auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands gab es von da an zwei Sprachräume: den hochdeutschen und den niederdeutschen. Weil die Verständlichkeit der unterschiedlichen Dialekte auch innerhalb dieser Sprachräume eng begrenzt war, kommunizierte man überregional auf Latein. Latein war das Englisch des Mittelalters. Mit dem Unterschied, dass das gemeine Volk nicht mitreden konnte – nur eine Elite besuchte schließlich die »Lateinschule«.

Bereits Karl der Große ordnete deshalb an, dass man in den Kirchen die Volkssprache sprechen solle, damit die Leute wissen, was sie da beten.



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